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Die Fünfzigerjahre waren die Zeit des Wirtschaftswunders und Namen wie Grundig und Borgward sind noch heute
legendär. Auch auf Sylt gab es zu dieser Zeit einen bemerkenswerten Unternehmer, der aber auch auf Sylt heute fast vergessen ist und in Sylter Chroniken kaum Erwähnung findet. Dabei baute
Dr. Bernhard Beyschlag das einzige auf Sylt ansässige Industrieunternehmen auf. In der Entwicklung und Fertigung von hochwertigen Schichtwiderständen für die Elektronikindustrie wurde es
innerhalb weniger Jahre zum Marktführer in Deutschland.
Anfänge vor 75 Jahren Bernhard Beyschlag
wurde am 14. Juni 1900 in Berlin als jüngstes Kind des Geologen Franz Beyschlag geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er in Berlin Maschinenbau und Physik und arbeitete zunächst im
Entwicklungsbereich der Großindustrie. 1931 gründete er in Berlin-Steglitz sein Unternehmen, in dem er zunächst Kupferoxidul-Gleichrichter fertigte. Wegen patenrechtlicher
Schwierigkeiten stellte man die Produktion aber auf Wickelkondensatoren und Widerstände sowie Pressteile aus Bakelit für die Elektroindustrie um. 1934 heiratete er seine Buchhalterin
Magdalene Horn. 1936 wurde der Firmensitz nach Neufahrland bei Potsdam verlegt, wo ein neues Betriebsgebäude mit angrenzendem Wohnhaus errichtet wurde. Hier beschäftigte das Unternehmen
anfangs acht, später bis zu 40 Mitarbeiter. Als Ende 1944 die Ostfront immer näher rückte, entschloss man sich zur Flucht. Im Januar 1945 wurden wichtige Fertigungseinrichtungen auf einen
Lastkahn verladen und die Flucht auf dem Wasserweg Richtung Westen begann. Zu Fuß erreichte man schließlich Hitzacker an der Elbe. Bereits am 1. Januar 1946 wurde dort in dem Saal der
Bahnhofsgaststätte die Produktion von Widerständen wieder aufgenommen. Die Zahl der Mitarbeiter stieg bis Ende 1948 von Anfangs sechs bis acht auf ungefähr 20. Auf 100 m² wurden
wöchentlich 15000 Widerstände produziert. Da es in Hitzacker keine Möglichkeiten zur Erweiterung des Betriebes gab, sah man sich nach einem neuen Standort um. Versuche in Salzgitter und
Nienburg ein neues Betriebsgelände zu finden waren vergeblich, deshalb kam es zu der aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Entscheidung zum Umzug nach Sylt.
Umzug nach Sylt Dr. Beyschlag kannte die
Insel von Urlaubsaufenthalten in List. Da es bei Kriegsende viele Flüchtlinge auf die Insel verschlagen hatte, gab es Arbeitskräfte genug. Zunächst gab es den Plan, Gebäude auf dem
Westerländer Fliegerhorst zu beziehen, der sich aber zerschlug, weil die Royal Air Force den Flugplatz nutzen wollte. Ein geeignetes Gebäude fand man schließlich in der Möwenberg Kaserne
in List. Der Umzug von Hitzacker nach List dauerte nur acht Tage, sodass am 20. Januar 1949 die Produktion in der ehemaligen Kantine der Kaserne wieder beginnen konnte. Im April 1950
beschäftigte das Unternehmen bereits 40 bis 50 Mitarbeiter, die Widerstände für Rundfunkgeräte und Messinstrumente fertigten. Auch die Maschinen zur Herstellung von Widerständen wurden
von Dr. Beyschlag konstruiert und im Werk selbst hergestellt. Das Unternehmen belieferte die meisten deutschen Rundfunkgerätehersteller von denen sich allerdings viele in Süddeutschland
befanden. Zwar war der Transport der kleinen Bauteile kostengünstig, doch die Kommunikation mit den Kunden verursachte wegen teurer Ferngespräche zu hohe Kosten, weshalb man als
übliche Form der Nachrichtenübermittlung das Brieftelegramm nutzte. Trotz der offensichtlichen Standortnachteile war das Unternehmen wegen ständiger Weiterentwicklung rationeller
Produktionsverfahren und der guten Qualität seiner Produkte bald recht erfolgreich. Wesentlichen Anteil am Erfolg hatte der kaufmännische Direktor Heinrich Willer. Herr Willer war seit
1948 im Unternehmen tätig und seit 1952 auch Mitinhaber der nun als OHG geführten Firma. 1953 beschäftigte Beyschlag bereits 250 Mitarbeiter. Das Gebäude am Möwenberg wurde zu klein, so
dass Pläne für einen Neubau gemacht wurden. Zunächst gab es wohl Überlegungen am Ortsausgang in List an der Möwenbergstraße ein neues Werk zu errichten, was sich jedoch nicht realisieren
ließ. Schließlich fand man im Norden Westerlands ein geeignetes Grundstück.
Neubau in Westerland Im April 1954 wurde
der Grundstein für das neue Werk südlich des Friedrichshains gelegt. Im April 1955 konnten die ersten Gebäude bezogen werden. Zunächst verblieben jedoch 120 der insgesamt 370 Mitarbeiter
in List. Neben dem Betriebsgelände entstanden Wohnhäuser, die sich zum Teil im Eigentum von Beschäftigten, zum Teil im Besitz der Firma befanden. Es gab eine Gärtnerei, die die
Betriebskantine mit Gemüse versorgte, die Bepflanzung rund um das Werksgelände pflegte und für frische Schnittblumen im Betrieb sorgte. Zudem pachtete die Firma einen 17 Hektar großen
landwirtschaftlichen Betrieb, den Dünenhof, auf dem Vieh gehalten wurde. Ein schwerer Verlust war am 7.2.1961 der unerwartete, plötzliche Tod des Mitinhabers und kaufmännischen
Leiters Heinrich Willer. Am 1. Januar 1964 verkaufte Dr. Beyschlag das Unternehmen an eine Hamburger Bankengruppe. Dabei wurde die Firma von der Rechtsform einer OHG in die einer GmbH
überführt. Er blieb dem Unternehmen aber vorerst als Vorsitzender des Aufsichtsrats verbunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Dr. Beyschlag Apparatebau GmbH die weltweit größte Spezialfabrik
für Kohle- schichtwiderstände. Mit rund 660 Mitarbeitern, von denen 88% auf Sylt lebten, war sie der größte Arbeitgeber auf der Insel. Der Markanteil bei Widerständen für die
deutschen Radio- und Fernsehindustrie lag bei über 60%. Widerstände der Firma Beyschlag wurden aber auch weltweit exportiert und wegen ihrer hohen Qualität auch in der Messtechnik und in
Computeranlagen verwendet. Jährlich wurden ungefähr 10 bis 15 Lehrlinge für die Berufe Feinmechaniker und Elektromechaniker ausgebildet, aber auch viele Ungelernte, vorwiegend Frauen,
fanden in der Produktion Arbeit. Auch Handwerksbetriebe auf Sylt profitierten von dem Unternehmen. So stellte z.B. die Tischlerei Boy Christiansen in List Holzkisten für den Versand der
Widerstände her.
Zweigwerk in Heide 1965 fiel die
Entscheidung, in Heide ein Zweigwerk zu eröffnen. Nach nur acht Monaten Bauzeit wurde das neue Werk im Januar 1966 in Heide in Betrieb genommen. Gegenüber der Sylter Rundschau äußerte
sich der kaufmännische Geschäftsführer Gerhard Merz im Mai 1970 zu den Gründen. Auf Sylt bzw. in Westerland habe man sich für den Fremdenverkehr entschieden. Aus dieser Bemerkung könnte
man schließen, dass es nicht genügend Unterstützung durch die Stadt Westerland für eine Erweiterung des Westerländer Werks gab. Eine Erweiterung des Unternehmens war aber dringend
erforderlich, da die Nachfrage der Kunden mit den vorhandenen Kapazitäten nicht mehr befriedigt werden konnte. Als weitere Gründe nannte Merz Schwierigkeiten, Fachkräfte nach Sylt zu
holen und den Mangel an Wohnungen für die Mitarbeiter. Ein wesentliche Grund, der einer Erweiterung in Westerland entgegenstand, dürften auch die gestiegenen Grundstückspreise gewesen
sein. Man betrachtete Westerland aber weiterhin als Hauptwerk und auch entfernte Pläne für einen endgültigen Auszug aus Westerland wurden verneint.
Bau des Keitumer Schwimmbads Dr.
Beyschlag lebte nach seinem Rückzug aus dem Unternehmen in Keitum. Hier ließ er 1968 das Meerwasserschwimmbad bauen, das am 21. Juli 1969 offiziell eingeweiht wurde. Das Bad ging später
in den Besitz der Gemeinde Sylt-Ost über. Die Betreibergesellschaft des Bades trägt aber bis heute seinen Namen. Dr. Bernhard Beyschlag starb am 6. Oktober 1980. Er fand seine letzte Ruhe
auf dem Keitumer Friedhof.
Schließung des Westerländer Werks Im
Oktober 1971 fiel die Entscheidung, das Werk in Westerland zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt waren in Westerland noch etwa 350 Mitarbeiter beschäftigt, von denen ca. 320 auf Sylt
wohnten. Bis Frühjahr 1974 sollten alle noch in Westerland verbliebenen Abteilungen des Unternehmens schrittweise nach Heide verlegt werden. Der technische Direktor Helmut Düll erklärte,
die Entscheidung sei dem Unternehmen aufgezwungen, um dessen Bestand nicht zu gefährden. Am 1. November 1971 berieten der Magistrat und der Bürgervorsteher der Stadt Westerland über die
Folgen einer Schließung. In einer Presseerklärung wurde scharf protestiert. Die Gründe für eine Verlegung des Werks nach Heide wurden als nicht gerechtfertigt angesehen. Man rechnete mit
dem Verlust von ca. 400 Arbeitsplätzen und dem Wegzug von über 1000 Menschen. Am Gewerbesteueraufkommen der Stadt hatte die Firma Beyschlag mit ca. einer Million DM einen Anteil von 37%.
Das Land Schleswig-Holstein und der Kreis Nordfriesland wurden aufgefordert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Betrieb der Firma Beyschag auf Sylt zu erhalten. Die Stadt
Westerland befand sich damals ohnehin in einer schwierigen Lage. Sie war hoch verschuldet und die Gäste- und Übernachtungszahlen waren 1971 rückläufig. Gegen das geplante Atlantis
Hochhaus gab es heftige Proteste der Bevölkerung, die das Vorhaben letztendlich scheitern ließen. Es gab das Gerücht, das Land wolle der Stadt den Status eines Heilbades entziehen. Ein
Gutachten des Kieler Innenministeriums hatte eine Belastung durch Autoabgase, dürftige Ausstattung der Unterkünfte und unzureichende Kur- und Sportanlagen festgestellt, was noch 1974 zu
negativen Schlagzeilen in der Boulevardpresse führte. Zudem hatte die Bundeswehr für 1972 die Auflösung der auf dem Flugplatz stationierten Schießplatzstaffel angekündigt. Die Bemühungen,
das Beyschlag Werk in Westerland zu erhalten, blieben aber erfolglos. Zwar wurde den meisten Mitarbeitern eine Weiterbeschäftigung in Heide angeboten, es kam aber auch zu Entlassungen
vorwiegend älterer Arbeitnehmer. Nicht wenige Beschäftigte wollten die Insel nicht verlassen, z.B. weil sie hier Eigentum besaßen. Anfang 1974 war das Westerländer Werk geschlossen. Im
selben Jahr wurde das Unternehmen Beyschlag an den niederländischen Philips Konzern verkauft. In den folgenden Jahren bemühte man sich vergeblich um die Ansiedlung eines Zweigwerks des
dänischen Unternehmens Danfoss auf dem ehemaligen Beyschlag Gelände. Auch Pläne für eine Kurklinik oder eine Hotelfachschule waren nicht zu realisieren. Im Oktober 1980 wurden die
Fabrikgebäude abgerissen und die Grundstücke mit Ferienwohnungen bebaut.
Das Unternehmen heute Das Heider Werk
entwickelte sich als Teil des Unternehmens Philips Components, ab 1999 BC Components (Beyschlag Centrallabs components), zum größten Arbeitgeber in Heide, zählte zu den 100 größten
Unternehmen in Schleswig-Holstein und war mit jährlich mehr als acht Milliarden produzierten Widerständen in Dünnschichttechnologie für die Automobilelektronik und Telekommunikation
Marktführer in Europa. Die Absatzkrise bei Mobiltelefonen sowie der verzögerte Ausbau des UMTS- Netzes führte 2001 zu einem Umsatzrückgang von 30%, was zu Kurzarbeit und
Entlassungen führte. Im Dezember 2002 verkaufte Philips BC Components an den amerikanischen Vishay Konzern. Sofort gab es Gerüchte über Entlassungen im Heider Werk, die aber zunächst
dementiert wurden. Im Januar 2003 wurde dann aber durch die Geschäftsführung mitgeteilt, dass Teile der Produktion nach Tschechien und Israel verlegt würden und etwa 250 der 580
Arbeitsplätze in Heide abgebaut werden müssten. Im Laufe des Jahres 2003 verbesserte sich jedoch die Auftragslage, so dass sich der Personalabbau verzögerte.
Bis Mai 2005 wurde die Zahl der Beschäftigten auf etwa 430 verringert. Der Bestand des Werks in Heide scheint aber vorerst gesichert. BC Components wurde inzwischen in die Geschäftsbereiche Vishay Beyschlag und Vishay
BCcomponents aufgeteilt. Vishay investierte 2005 in Heide vier Millionen Euro in die Entwicklung neuer Produkte.
Im Jahr 2006 wurden alle Auszubildenden übernommen.
Oktober 2006
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