“Hat das Vaterland noch Raum für seine arbeitslustigen Kinder?” Bleick Jens Eschels 1850
Wer auf Sylt wohnen will, sollte dafür schon einen triftigen Grund haben. Eigentlich gibt es nur eine Begründung: Ich kann es mir
leisten, auf Sylt zu wohnen.
Wer auf Sylt eine Mietwohnung sucht, muss sich die Frage gefallen lassen: “Ist es notwendig, dass Sie auf Sylt wohnen?”
Die Antwort, “Ich bin hier geboren, aufgewachsen, und arbeite seit vielen Jahren hier”, ist natürlich nicht ausreichend. Ich würde daher als Antwort vorschlagen: “Sylts Existenzkampf im
globalen Wettbewerb macht meine ständige Anwesenheit auf der Insel dringend erforderlich”. Diese Antwort ist zwar auch nicht ausreichend, hört sich aber gut an. Auch wer z.B. um fünf Uhr morgens
mit der Arbeit beginnen muss, sollte sich nicht einbilden, dass das als Grund reicht, nur weil so früh noch kein Zug nach Sylt fährt. Immer mehr Sylter verlassen die Insel, arbeiten zwar noch hier,
wohnen aber auf dem Festland. So kommt es zu einem schleichenden Austausch der Sylter Bevölkerung. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum, lässt aber auch auf dem Festland inzwischen die Mieten steigen.
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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Diese Menschen kommen jeden Tag nach Sylt, um hier zu arbeiten. Ca. 4000 Pendler sind es täglich.
Im März 2007 wurde eine Studie zur Altersstruktur der Sylter Bevölkerung veröffentlicht. Dabei kam
heraus, dass die Sylter Bevölkerung stark überaltert ist. Als Grund dafür wurde genannt, dass viele Ruheständler Sylt als Alterssitz wählen. Nicht erwähnt wurde, dass gerade viele junge Familien die
Insel verlassen, weil sie sich das Wohnen hier nicht mehr leisten können. Der Abzug der Bundeswehr hat diesen Trend noch verstärkt. Die Zahl der Schulkinder nimmt so stark ab, dass die Grundschulen
in Keitum und List 2007 und in Hörnum 2011 geschlossen wurden und weitere Schulschließungen zu erwarten sind.
Die Stadt Westerland ist über ihren Eigenbetrieb KLM (Kommunales Liegenschafts Management)
schon seit vielen Jahren bemüht, auch durch Neubauten Wohnraum für Sylter zur Verfügung zu stellen. Zudem kaufte man 244 der ca. 680 Wohnungen vom Bund, die per Erbpacht den Mietern zum
Kauf angeboten werden. Bei den Fusionsverhandlungen der Sylter Kommunen zeigte sich nun allerdings, dass dieses Engagement einzelnen Vertretern anderer Gemeinden wegen des finanziellen
Risikos ein Dorn im Auge ist. Beim Verkauf der übrigen Bundesmietwohnungen scheint sich auch die Vermutung zu bestätigen, dass viele der Objekte künftig als Ferienwohnungen genutzt werden.
Zudem standen einige Wohnungen jahrelang leer. Auch über die von der KLM gekauften Wohnungen wurde in der Lokalpresse berichtet, dass wohl zwei Objekte inzwischen als Ferienwohnungen genutzt werde.
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Diese in den Fünfzigerjahren für die Royal Air Force gebauten ehemaligen Bundesmietwohnungen am Seedeich sowie die in den Dreißigerjahren
gebaute Marinesiedlung im Norden von Westerland wurden vom Kommunalen Liegenschafts Management (KLM) der Stadt Westerland gekauft und den Mietern zum Kauf auf Erbpachtbasis angeboten.

Auch in Hörnum verkaufte der Bund das ehemalige Kasernengelände (dort entstand ein Golfplatz) und zahlreiche Mietwohnungen.
Südlich des Golfplatzes entstand dieses Reservat für Einheimische

Eher kurios ist, was im Oktober 2006 in der Sylter Rundschau berichtet wurde. Ein Vermieter in Westerland schreibt seinen Mietern vor, dass statt Vorhängen
nur weiße Rollos verwendet werden dürfen. Bei Nichtbeachtung droht die fristlose Kündigung der Wohnung.
In Wenningstedt und in Morsum wurden durch die Hemshorn Stiftung 78 Wohnungen für Sylter
Familien gebaut. Die Eheleute Lothar und Ingrid Hemshorn haben einen Teil ihres Stiftungsvermögens (Zweck der Stiftung ist die Förderung begabter Kinder aus sozial schwachen Familien) in
Mietwohnungen auf Sylt angelegt. In Morsum gab es aus Gründen des “Umweltschutzes” aber Widerstand von Nachbarn gegen den Bau der Wohnungen. So wurde auch versucht, den Bau auf dem
Klageweg zu verhindern. Wer sich auf Sylt ein teures Anwesen leistet, kann natürlich keine “Arbeitersiedlung” in seiner Nachbarschaft dulden.

Die Wohnungen der Hemshorn Stiftung (hier in Morsum) werden recht günstig an Familien mit Kindern vermietet.
Dem Neubau von Mietwohnungen steht ein ständiger Verlust von Wohnraum durch Umwandlung in
Ferienwohnungen gegenüber. Zwischen Steinmann- und Bomhoffstraße wurde 2003 das letzte der alten Gästehäuser abgerissen und dort zwei Häuser mit Ferienwohnungen gebaut. Auf dem
Nachbargrundstück befinden sich sechs Mietshäuser. Bald wurde bekannt, dass der Abriss vier dieser Häuser geplant war und auch dort Ferienwohnungen gebaut werden sollten. Die Mieter hofften
über das Mietrecht ihre Wohnungen zu erhalten. Die zwischen den Häusern gelegene Grünfläche, wo
bisher Kinder spielten, wurde einer “sinnvollen” Nutzung zugeführt. Hier entstanden Parkplätze für Feriengäste.
Im Mai 2009 beabsichtigte der Sylter Gemeinderat die Verabschiedung einer Solidaritätserklärung mit
den betroffenen Mietern. Der Hauseigentümer setzte sich jedoch schon vor der Beschlussfassung über seinen Anwalt dagegen zur Wehr, sodass im August eine auf ein Viertel gekürzte und deutlich
entschärfte Resolution beschlossen wurde. Diese Erklärung macht deutlich, wie hilflos die Kommunalpolitiker dem innovativen Streben der Investoren auf Sylt gegenüber stehen. Die Erklärung
im Wortlaut:
“Die Firma SL-Immobilien GmbH erwarb im Ortsteil Westerland die Wohngebäude Steinmannstraße
26 und Bomhoffstraße 15, 17 und 19. Der eingereichte Bauantrag für den Abriss der vorhandenen Gebäude und den Neubau mehrerer Appartementhäuser war entsprechend der Rechtslage zu
genehmigen. Zur Umsetzung der Baugenehmigung wurde mit einem Teil der Mieter eine Beendigung des Vertragsverhältnisses erreicht. Die Fenster der leer stehenden Wohnungen wurden vernagelt mit
dem Argument, dass eine Zerstörung der Fenster durch Dritte sonst drohe.
Aus Sicht der Gemeinde Sylt stellt diese Maßnahme eine Verunstaltung dar, die einem gepflegten
Ortsbild widerspricht, baurechtlich jedoch zulässig ist. Anfang März wurde um die Grundstücke ein unzulässiger 1,80 Meter hoher Bauzaun errichtet. Gegen diesen wurde eine Beseitigungsverfügung
erlassen.
Die Gemeinde Sylt missbilligt die bezeichneten Maßnahmen und erklärt sich solidarisch mit den Betroffenen.“
Anfang 2010 waren die Wohnungen erfolgreich entmietet und mit dem Abriss wurde begonnnen.

Diese Mietshäuser in der Bohmhoffstraße und der Steinmannstraße in Westerland mussten Ferienwohnungen weichen

Für die ehemaligen Mieter wurden eher Albträume wahr Informationstafel an der Baustelle im April 2010

Am 5. August 2010 berichtete die Sylter Rundschau, dass es neue Probleme auf der Baustelle gab.
Nach Messungen der EVS (Energieversorgung Sylt) wurde erheblich mehr Grundwasser aus der Baugrube abgepumpt als genehmigt. Man befürchtete negative Folgen für die Trinkwasserversorgung
der Insel Sylt. Wie die Sylter Rundschau später berichtete, ergaben Untersuchungen tatsächlich einen erhöhten Salzgehalt des Grundwassers, was darauf hindeuten könnte, dass Meerwasser vom
nahen Strand eingesickert war.
Baustelle in der Bomhoffstraße im Sommer 2011
Auch in List erhielten langjährige Mieter in der Möwenbergstraße bereits 2007 die Kündigung. Der
Abriss der Häuser begann Ende 2007, obwohl sie teilweise noch bewohnt waren. Auch hier wurden im Jahr 2008 Eigentumswohnungen gebaut.
Ein hartnäckiger Mieter in der Möwenbergstraße bewohnte noch den vorderen Teil des Hauses, während die hintere zwei Drittel bereits abgerissen waren.
Die Mieter dieses Hauses im Sjipwai in Westerland machten ihrem Unmut über die Vermieter Luft.
Die Besitzer des Hauses hatten vor, die Immobilie “der Wertschöpfungskette” zuzuführen. Dabei
störten die Mieter natürlich. Wie die Sylter Rundschau im August 2010 berichtete, wurde das
Gebäude aber inzwischen verkauft und der neuer Besitzer beabsichtigte hier neue Mietwohnungen zu bauen.
Im Prinzip traf das auch zu. Vor allem entstanden aber 27 Eigentumswohnungen sowie 14
Mietwohnungen “in gehobener Ausstattung”. Für die ehemaligen Mieter des Sonnenhofs, die überwiegend in der Gastronomie tätig waren, waren die Mieten jedoch unbezahlbar.
Neubauten im Sjipwai und Bahnweg in Westerland im Dezember 2011
Dieses Haus in Westerland wurde 2009 erfolgreich entmietet. Hier sollte eigentlich ein Hotel
entstehen, allerdings verweigerten widerspenstige Behörden dafür die Baugenehmigung.
2011 wurden hier ein Gebäude mit 20 Eigentumswohnungen errichtet.
Viele Rentner, die ihr Arbeitsleben hier auf Sylt verbracht haben, bleiben einfach auf der Insel wohnen.
Solch ein verstockter Alter war auch der 81 Jahre alte frühere Keitumer Schulleiter Horst Retzlaff. Er
bekam im Oktober 2006 von der Gemeinde Sylt-Ost nach 39 Jahren die Kündigung seiner Wohnung
in Keitum zum 31.03.07, wegen Eigenbedarf. Die Empörung unter den Syltern war groß und der alte
Herr wurde ermuntert, sich der Kündigung zu widersetzen. In der Lokalpresse wurde die Vermutung
geäußert, die Gemeinde Sylt-Ost brauche Geld für den Bau der neuen Therme in Keitum und wolle
deshalb das Haus verkaufen. Das war natürlich nur ein Gerücht. Ostern 2007 wurde bekannt, dass die
Kündigung aus sozialen Gründen zurückgenommen wurde, obwohl der “Eigenbedarf” weiterhin bestand.
Lehrerwohnung und Polizeistation in Keitum im April 2007
Mit dem Tode von Horst Retzlaff löste sich das Problem von selbst. Zumindest konnte er aber bis zu
seinem Ableben in dem Haus wohnen bleiben.
Nun begann die Diskussion um den Verkauf des Hauses von neuem. Inzwischen wurde allerdings
entschieden, das Haus zu renovieren und die Wohnungen für Sylter zu erhalten.
Die Experten der Gemeinde Sylt-Ost bewiesen allerdings schon viel Einfallsreichtum beim Entmieten.
So versuchte man im Sommer 2006 Asylbewerber auf unbürokratische Weise zum Verlassen ihrer
Wohncontainer auf dem Flugplatzgelände zu veranlassen, indem man ihnen kurzerhand die Strom- und Wasserversorgung abstellte.
Wohncontainer auf dem Flughafengelände im August 2006
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